BOLD WOLVES – Zusammenfassung der internationalen Konferenz im Jahr 2022
Am 29. April fand in der Festung von Bard die zweite thematische Konferenz von LIFE WolfAlps EU statt, die sich mit habituierten Wölfen und Wölfen in der Nähe von Siedlungen befasste. Am Vormittag wurde eine eingehende Untersuchung der in Italien, Frankreich, Slowenien und Deutschland festgestellten Fälle und der Managementrichtlinien präsentiert. Mehrere Experten, darunter Piero Genovesi, Leiter des Wildtierkoordinationsdienstes der ISPRA, Ilka Reinhardt vom Institut für Wolfsmonitoring und -forschung in Deutschland, Valeria Salvatori vom Institut für angewandte Ökologie, die wissenschaftliche Koordinatorin von LWA EU Francesca Marucco und die Projektpartner Nolwen Drouet-Hoguet vom OFB und Christian Chioso von der Region Valle d’Aosta nahmen an der Veranstaltung teil.
Der Nachmittag war einer Diskussionsrunde gewidmet, bei der das Problem der habituierten und siedlungsnahen Wölfe gemeinsam mit dem Bürgermeister von Arvier, einem Dorf im Aostatal, in dem vergangenen Winter mehrfach ein Wolf gesehen wurde, sowie mit Vertretern von Jägern, Züchtern und Umweltschützern diskutiert wurde.
Hier werden die Ergebnisse der Konferenz kurz zusammengefasst.
Was ist ein habituierter Wolf?
Ein habituierter Wolf ist ein Wolf, der sehr tolerant gegenüber Menschen ist, keine Angst vor ihnen hat und sich ihnen direkt und wiederholt zu Fuß auf eine Entfernung von weniger als 30 m nähert. Dies ist die Definition der Expert:innen der Large Carnivore Initiative for Europe (LCIE), einer Fachgruppe, die sich mit Europas großen Beutegreifern beschäftigt.
Die Anwesenheit eines Wolfs in einer vom Menschen dominierten Landschaft, d. h. ein Wolf, der Straßen überquert oder an Häusern vorbeigeht, bedeutet jedoch kein problematisches Verhalten, sondern hängt davon ab, wie der Wolf zu den Menschen in Beziehung steht. Wölfe (und andere Tiere), die sich gewohnheitsmäßig in städtischen Gebieten aufhalten, werden tatsächlich als urban definiert.
In einer zunehmend vom Menschen geprägten Welt ist es unvermeidlich, dass sich einige Tierarten anpassen und Gebiete nutzen, in denen der Mensch stärker vertreten ist. Vor allem die opportunistischeren Arten, die in der Lage sind, die unterschiedlichsten Kontexte zum Überleben zu nutzen, können sich an Siedlungsgebiete anpassen.
In einem natürlicheren Umfeld, in dem die menschliche Präsenz gering ist oder Menschen gar nicht vorhanden sind, suchen Wölfe (und Wildtiere im Allgemeinen) menschliche Siedlungen nur selten auf, außer zu bestimmten Anlässen, z. B. wenn schwere Schneefälle im Winter Huftiere in die Täler drängen. In Gebieten, in denen es viele Straßen und menschliche Siedlungen gibt, ist es fast unvermeidlich, dass die Tiere mit der Anwesenheit des Menschen konfrontiert werden.
Dies gilt auch für junge Wölfe, die abgewandert sind und einen Ort suchen, an dem sie sich niederlassen können, ebenso wie für die Territorien einiger Rudel. In vom Menschen dominierten Landschaften (z.B. der Po-Ebene in Italien oder Sachsen in Deutschland), in die diese Tierart in den letzten Jahren zurückgekehrt ist, ist dies sicherlich unvermeidlich. In solchen Landschaften ist es daher unvermeidlich, dass ein Wolf gelegentlich Dörfer durchquert oder passiert. Die meisten Tiere versuchen ohnehin, direkte Begegnungen mit dem Menschen zu vermeiden: Wenn sie vom Menschen geprägte Orte nicht meiden können, streifen sie nachts umher, wenn die Wahrscheinlichkeit geringer ist, Menschen zu begegnen.
Tiere, die bewohnte Gebiete meiden oder sie in besonderen Situationen gelegentlich durchqueren, werden als urban avoiders bezeichnet.
Andererseits gibt es Tiere die in der Lage sind, die Ressourcen des städtischen Umfelds zu nutzen und sich an dieses anzupassen (urban adapters), indem sie sich häufig dort aufhalten, sich aber weiterhin in einem natürlichen Umfeld bewegen. Schließlich gibt es noch die Stadtbewohner, die in der städtischen Landschaft leben. Unter den Caniden gibt es Füchse und Kojoten, die sich daran angepasst haben, ihr ganzes Leben in großen Metropolen zu verbringen, während Wölfe häufig in kleinen städtischen Zentren oder ländlichen Siedlungen leben.
Wie „entsteht“ ein habituierter Wolf?
Eine grundlegende Voraussetzung für habituiertes Verhalten ist eine starke Gewöhnung. Dabei handelt es sich um einen Lernprozess, bei dem sich ein Tier an wiederholte Reize gewöhnt, die für sich genommen weder positive noch negative Folgen haben. Habituierte Wölfe sind an die Anwesenheit von Menschen gewöhnt.
Diese Anpassung und Gewöhnung ist unproblematisch, wenn Wölfe den Menschen, seine Bauten, Fahrzeuge und Aktivitäten in einem gewissen Abstand tolerieren, ohne sich direkt für den Menschen zu interessieren und dabei immer einen gewissen Abstand halten. Tatsächlich sind Wildtiere, die in vom Menschen gestalteten Landschaften leben, irgendwie gezwungen, eine gewisse Toleranz gegenüber Lärm, Fahrzeugen, Lichtern usw. zu entwickeln.
Habituierung ist jedoch ein Anpassungsprozess und wenn sie stark ausgeprägt ist, d. h. wenn Wölfe die Anwesenheit von Menschen aus nächster Nähe tolerieren, ist dies ein Verhalten, das problematisch und gefährlich werden kann. Eine solche starke Gewöhnung ist häufig mit positiver Konditionierung verbunden, d. h. ein Verhalten wird verstärkt, weil es mit einer Art von Belohnung verbunden ist. Insbesondere die Futterkonditionierung ist eine Form der positiven Konditionierung, bei der die Tiere die Anwesenheit von Menschen oder Orten, an denen sich Menschen aufhalten (z. B. Campingplätze, Hinterhöfe), mit der Verfügbarkeit von Futter in Verbindung bringen. Deshalb ist es wichtig sicherzustellen, dass Wölfe (und Wildtiere im Allgemeinen) keine Nahrung finden, wenn sie mit Siedlungsräumen in Berührung kommen.
Wölfe sind Tiere, die in der Lage sind, sich an unterschiedliche Umwelteinflüsse anzupassen und ihre Gewohnheiten und ihr Verhalten zu verändern. In anthropogenen Kontexten ist es oft schwierig zu beurteilen, ob sich der Wolf normal verhält oder auf eine problematische Weise, die ein Eingreifen des Managements erfordert. Dies ist der Zweck der LCIE Guidelines, die Manager:innen einen Schlüssel zum Verständnis der verschiedenen Verhaltensweisen von Wölfen und der empfohlenen Managementmaßnahmen an die Hand geben. Für eine korrekte Bewertung ist es von großer Bedeutung, den Fall zu dokumentieren und die gesammelten Daten zu archivieren, um das Wissen über das Problem im Laufe der Zeit zu verfeinern und so die Anwendung von Interventionen auf eine immer effektivere Weise zu lenken. In diesem Zusammenhang möchten wir das im Rahmen der Action A7 im LIFE WolfAlps EU Projekt erstellte Dokument erwähnenen, die Management Strategie für habituierte Wölfe im Alpenraum.
Dokumentierte Fälle
Die Konferenz am 29. April bot die Gelegenheit, sich über die Situation in Italien, Frankreich, Slowenien und Deutschland zu informieren. Aus allen Berichten geht hervor, dass Fälle von habituierten Wölfen selten sind.
Wie Genovesi von ISPRA berichtet, gab es in Italien in den letzten zehn Jahren 23 Fälle von habituierten Wölfen. Die Berichte kommen aus ganz Italien, und seit 2012 ist ein Anstieg der gemeldeten Fälle zu verzeichnen. In Slowenien sind von 2006 bis 2022 drei Fälle aufgetreten, wie Černe und Simčič von der slowenischen Forstbehörde berichten, und in Deutschland haben zwei Fälle in 22 Jahren ein Eingreifen des Managements erfordert, wie Ilka Rehinardt, Autorin eines umfangreichen Dokumentes über habituierte Wölfe, berichtet.
In Frankreich hat das OFB eine Studie durchgeführt (hier verfügbar) in der das Verhalten von Wölfen bei Begegnungen mit Menschen analysiert wurde. Insgesamt wurden 3280 Begegnungen analysiert, die zwischen 1993 und 2020 stattfanden. In diesen 30 Jahren ist die Zahl der Begegnungen, selbst bei einer Entfernung von weniger als 50 Metern, mit dem Bevölkerungswachstum gestiegen. Was sich jedoch nicht geändert hat, ist die Tatsache, dass die Hauptreaktion, die die Wölfe bei diesen Begegnungen zeigten, während des gesamten Betrachtungszeitraums Angst und Flucht ist (77 % der Fälle insgesamt). Allerdings hat auch die Zahl der Fälle zugenommen, in denen die Wölfe Gleichgültigkeit zeigen oder sich langsam entfernen. Von 3280 Begegnungen zeigten 10 Wölfe aggressives Verhalten gegenüber Menschen, und in 9 Fällen handelte es sich um eine Verteidigungsreaktion auf ein als bedrohlich empfundenes Verhalten. Es wurden keine Angriffe gemeldet.
In Anbetracht der ausgeprägten Persönlichkeit von Wölfen und der großen Vielfalt von Kontexten sind sich alle Experten einig, dass eine Einzelfallprüfung erforderlich ist. Sobald eine Meldung über abnormales Verhalten eingeht, müssen die Behörden daher die Sammlung von Informationen in die Wege leiten, die für die Festlegung von Maßnahmen erforderlich sind. Die LCIE-Leitlinien, die in der von der LWA EU erarbeiteten Strategie enthalten sind, beschreiben eine Klassifizierung der Verhaltensweisen, ihre Bewertung und Vorschläge für die am besten geeigneten Maßnahmen, die zu ergreifen sind. Ein grundlegender Aspekt ist die Überprüfung des Vorhandenseins von Lockmitteln und deren Beseitigung.
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